Mi, 19:00
Literatur
METRO-Kinokulturhaus, I., Johannesgasse 4
Gesellschaftsräume der Literatur: Lydia Mischkulnig und Christa Zöchling – Sic! Transit! Teil 4
//FLUCHT UND MIGRATION
Anna Seghers: Transit (Roman) vorgestellt und interpretiert von Lydia Mischkulnig
Christian Petzold zeigt seinen Film Transit (Deutschland, Frankreich 2018) nach Seghers’ Roman und führt mit Lydia Mischkulnig ein Gespräch
Kinokarten € 8,50 (erm. € 7/6/5) im Metro Kino unter Tel. 512 18 03
In Zusammenarbeit mit dem Filmarchiv Austria
Anna Seghers’ Roman Transit (1944 auf Englisch und 1948 auf Deutsch erschienen) wurde im mexikanischen Exil geschrieben. Die Handlung um einen namenlosen Erzähler verquickt die Fluchterfahrung der Autorin am Transit-Ort Marseille, als die Nazis Frankreich besetzten (Invasion Sommer 1940). Um den Protagonisten gruppieren sich Flüchtlinge, die in emotionaler, solidarischer und materieller Hinsicht gefordert sind, miteinander umzugehen und das eigene Leben zu retten. Seghers schildert die Existenzbedingungen der Flüchtenden und stellt eine Liebe in den Mittelpunkt, an der sich die Entwicklung des Erzählers als etwas Transitäres zeigt. Er nimmt Identitäten anderer an, verliert gegen einen Toten und reift vom Beobachter zum empathischen Antifaschisten mit der Aussicht, in der Resistance zu kämpfen. (Anna Seghers: Transit. Aufbau Verlag, 1983)
Der Entwicklungsroman galt dem Regisseur Christian Petzold (*1960) als Vorlage für seinen preisgekrönten gleichnamigen Film. Petzolds Marseille ist nicht in die 40er Jahre zurückversetzt. Er nimmt die Handlung des Seghers-Romans, stutzt sie in filmische Bahnen und inszeniert die Verhängnisse des 2. Weltkrieges in das zeitgenössische Setting. Marseille ist auch heute ein Transit-Ort für Flüchtlinge, die Richtung Norden weiterziehen oder hängen bleiben. Die Inszenierung in den Mauern von einem heutigen Marseille ist ein gespenstisch anmutendes Déjà-vu, das sich mit der europäischen Debatte um Migration und Flucht verbindet. Einer Politik, die im Dilemma des Flüchtlingsdiskurses dahinschlingert, führt der Regisseur mit Transit eine künstlerisch gestaltete Realität vor Augen. Wie wirkt das Wissen um Geschichte in unsere Zeitgenossenschaft von heute hinein? Wohin gehen wir? So gesehen befinden wir alle uns in einem Transit, in Zeit und Raum, Existenzbedingungen verändern sich, man muss durch. Aber wie und um welchen Preis? Die Unterschiede der literarischen und der filmischen Mittel bei der Beschreibung von Realität und der künstlerischen Gestaltung von einem so komplexen Thema wie Flucht sollen besprochen werden. Lydia Mischkulnig
Brigitte Schwens-Harrant, *1967 in Wels/OÖ, studierte Deutsche Philologie und Theologie in Wien, wo sie lebt; Literaturkritikerin, Feuilletonchefin der Furche; Vortrags- und Lehrtätigkeit. Österreichischer Staatspreis für Literaturkritik 2015. Zahlreiche Publikationen zur österreichischen und internationalen Gegenwartsliteratur, zuletzt: Mind the Gap. Sieben Fährten über das Verfertigen von Identitäten (mit Jörg Seip, 2019).
Christian Petzold, *1960 in Hilden/NRW, lebt in Berlin; Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft an der FU-Berlin, 1988–1994 an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB). In seinen Filmen greift Petzold immer wieder bundesdeutsche Themen auf, etwa in Die innere Sicherheit, Wolfsburg, Gespenster, Yella, Jerichow, Barbara, Phoenix und in Transit. Harun Farocki war bis zu seinem Tode in engem Kontakt bei der Erarbeitung der Drehbücher und filmischen Umsetzungen. Seit 2018 ist Petzold in die Academy of Motion Picture Arts and Sciences berufen, die jährlich die Oscars vergibt. Ausgezeichnet u.a. mit dem Julius-Campe-Preis und dem Bayerischen Filmpreis für das Drehbuch von Transit (beide 2018).
Lydia Mischkulnig, *1963 in Klagenfurt, literarisch tätig seit 1991, lebt in Wien. Zuletzt erschienen: Macht euch keine Sorgen. Neun Heimsuchungen (2009); Schwestern der Angst. Roman (2010); Vom Gebrauch der Wünsche. Roman (2014); Die Paradiesmaschine. Erzählungen (2016). www.lydiamischkulnig.net
Christa Zöchling, *1959 in Graz, lebt in Wien. Geschichte- und Germanistik-Studium in Graz und Wien. Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Wien, Mitarbeit an Projekten zur Zeitgeschichte. Redakteurin bei Arbeiter-Zeitung und Kurier, seit 1992 bei Profil. Mehrfache journalistische Auszeichnungen; Buchbeiträge zum Thema Rechtspopulismus; Licht und Schatten einer Karriere. Biographie Jörg Haider (1999).
– –
METRO-Kinokulturhaus, Johannesgasse 4, 1010 Wien