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GRUNDBÜCHER der österreichischen Literatur seit 1945
72. Grundbuch: CARL MERZ/HELMUT QUALTINGER: DER HERR KARL. Monolog (Österreichischer Rundfunk, 1961; Langen Müller Verlag,1962) • FRANZ SCHUH (Wien) liest und kommentiert • JOHANN SONNLEITNER (Universität Wien) Referat • Diskussion; Redaktion und Moderation: KLAUS KASTBERGER (Universität Graz) • 18.3. StifterHaus Linz, 19.3. Literaturhaus Graz • Grundbücher der österreichischen Literatur seit 1945 (Hg. K. Kastberger, K. Neumann) – Erste Lieferung (profile 14, Zsolnay, 2007); Zweite Lieferung (profile 20, Zsolnay, 2013); Dritte Lieferung (profile 26, Zsolnay, September 2019) • mit Zustimmung des Thomas Sessler Verlages
Die Ausstrahlung des Monologs Der Herr Karl, der den Prototypen eines gemütlich-brutalen Wiener Opportunisten und Mitläufers des Nationalsozialismus zur Sprache bringt, im November 1961 im österreichischen Fernsehen löste eine Welle von haltlosen Empörungen, Beschimpfungen und Drohungen aus. Über die Poststellen des Senders ergoss sich eine Flut von aufgebrachten Zuschauer-Protesten. Wüste Verwünschungen, unflätige Beschimpfungen füllten bald auch die Leserbrief-Spalten der Wiener Zeitungen; es gab anonyme Morddrohungen. Österreich gab sich entrüstet, fühlte sich beleidigt. Der verantwortliche Fernsehdirektor wurde nach Sibirien gewünscht, es gab Dringlichkeitsanfragen im Parlament, die Nation war in Aufruhr. Die Stimmung, die damals herrschte, fasste der Kritiker Hans Weigel so zusammen: »Man hatte einem bestimmten Typus auf die Zehen treten wollen, und eine ganze Nation schrie: Au!«
Qualtinger und Merz verwendeten das Material des von ihnen ausgelösten Proteststurms für eine Reihe fingierter Zuschriften braver österreichischer Bürger und Opportunisten, die sie in die Buchausgabe des Textes 1962 einfügten. Dass es sich bei dem Stück um ein literarisches Elementarereignis und ein nach wie vor aktuelles Stück notwendiger sozialer Aufklärung handelt, scheint außer Zweifel, die Reaktionen vor 57 Jahren erweisen sich auch im Zeitalter von Wutbürgertum, Hasspostings und Shitstorms so vertraut wie verstörend. Als Vorbilder für die Figur des Herrn Karl haben mehrere Realpersonen gedient, mehrfach wurde u.a. der damalige Inhaber des Journalisten- und Literatenlokals Gutruf, Hannes Hoffmann, genannt.
Carl Merz (= Carl Czell), *1906 im heutigen Braşov/Rumänien, Welthandelsstudium in Wien, Kabarettist, Schauspieler und Schriftsteller, von 1933 bis 1935 Mitglied des Kabaretts »Literatur am Naschmarkt«. Zur Zeit des Nationalsozialismus inhaftiert. Nach 1945 Zusammenarbeit mit Michael Kehlmann, Helmut Qualtinger und Gerhard Bronner, mehrere gemeinsame Programme am Neuen Theater am Kärntnertor: Brettl vorm Kopf, Blattl vorm Mund, Glasl vorm Aug, Spiegl vorm G’sicht, Dachl überm Kopf. 1961 TV-Film mit Helmut Qualtinger Der Herr Karl, 1962 als Buchpublikation. Weitere Gemeinschafts- und Einzelpublikationen, u.a. An der lauen Donau (1965), Jenseits von Gut und Krankenkasse (1968), Der Opernnarr (1972). Unheilbar krank, wählte er 1979 den Freitod.
Helmut Qualtinger, *1928 in Wien, Kabarettist, Schauspieler und Autor; 1946/47 Auftritt im Kabarett Der liebe Augustin (Direktor: Carl Merz). 1961 endet die Zusammenarbeit mit Kehlmann, Bronner, Kreisler und Wehle; mit Carl Merz: Der Herr Karl (1961), Alles gerettet (1963), Die Hinrichtung (1965). Neben und vor allem nach seiner kabarettistischen Tätigkeit spielte er unzählige Bühnenrollen an Wiener und deutschen Theatern und wirkte in Film- und Fernsehproduktionen mit. Lesungen aus Hitlers Mein Kampf und Kraus’ Die letzten Tage der Menschheit. Er starb 1986 in Wien.
Franz Schuh, *1947 in Wien, Autor, Essayist, Kolumnist, gelegentliche Bühnenauftritte. Zuletzt erschienen u.a.: Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche (2005); Memoiren. Ein Interview gegen mich selbst (2008); Der Krückenkaktus (2011); Sämtliche Leidenschaften (2014); Über »Kulturpublizistik«. Vier Vorlesungen (2015); Fortuna. Aus dem Magazin des Glücks (2017).
Johann Sonnleitner, *1958 in Niederösterreich; Professor am Institut für Germanistik der Universität Wien. Forschungsschwerpunkt: österreichische Literatur 18. bis 20. Jahrhundert. Publikationen u.a. zur Wiener Komödie, zum literarischen Kanon und zu Konflikten, Skandalen und Dichterfehden in der österreichischen Literatur.
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