Di, 17:00
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GESELLSCHAFTSRÄUME DER LITERATUR – MARLENE STREERUWITZ (1)
1. Veranstaltung einer neuen Reihe • Konzept und Ausführung: KURT NEUMANN
MARLENE STREERUWITZ (Wien) – VOR DEM ERSCHEINEN. Präformierungen der kreativen und rezeptiven Felder
QUELLGEBIETE / REFERENZEN – Vier Streifzüge
- Schriften der Erbauung: KURT FREIMÜLLER (Sprachlehrer, Wien) liest und bespricht mit der Autorin Texte zur Glaubenserziehung der Jugend
- Literarische Moderne: KONSTANZE FLIEDL (Literaturwissenschaftlerin, Professorin der Universität Wien) charakterisiert ausgewählte Werke der literarischen Moderne – Textbeispiele, Dialog mit der Autorin
- Message Control / Halbwahrheiten / selektive Kommunikation als Mittel der Machtpolitik: aktuelle Beispiele MARION LÖFFLER (Politologin, Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien) / GEORG SPITALER (Politologe, Historiker; Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung, Wien) – mit Publikumsbeirat und Gespräch mit der Autorin
- Kontinuitäten des eigenen Werkes – Lebendige Lebensentwürfe: MANDY DRÖSCHER-TEILLE (Literaturwissenschaftlerin, Akad. Rätin am Deutschen Seminar der Leibniz Universität Hannover) analysiert Marlene Streeruwitz’ Figuren als Vermittler*innen kulturkritischer Diskurse – Textbeispiele, Dialog mit der Autorin
anschließend: Beobachtungen, Anmerkungen, Ergänzungen des Publikums
GESELLSCHAFTSRÄUME DER LITERATUR ist eine neue Veranstaltungsreihe der Alten Schmiede, die einmal pro Monat von Kurt Neumann mit einer Autorin oder einem Autor konzipiert wird. Den Ausgangspunkt bilden entstehende oder bereits abgeschlossene literarische Arbeiten des jeweiligen Autorengastes, die zusammen mit ihren im weitesten Sinn gesellschaftlichen Zusammenhängen zur Darstellung gebracht und anschaulich gemacht werden sollen. Gesellschaftlich im weitesten Sinn: literarische, künstlerische, wissenschaftliche, kulturkritische, soziale Zeitgenossenschaft. Damit knüpft die neue Reihe an die jahrzehntelange Praxis der Alten Schmiede an, nicht nur im Bereich der Präsentation, Interpretation und »Vermarktung« literarischen Arbeitens, sondern schon im produktiven Vorfeld ihres Entstehens substantielle Assistenz für Autorinnen und Autoren der österreichischen Gegenwartsliteratur zu leisten.
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Marlene Streeruwitz schreibt: Die Schöpfungsgeschichte stellt die Welt als abgeschlossenes Werk vor. Ein Kunstwerk. Und beendet. Die Geschichte der Welt aber zeigt, daß nichts beendet ist. Nichts abgeschlossen. Es gibt den Tod. Aber selbst der Tod einer Person ist eine Vorläufigkeit. Die Taten und Werke, das Leben dieser Person führt sich weiter. Wie kann dann ein Roman ein Ende behaupten. Oder einen Anfang.
Heute. Jeder und jede ist in den Kampf um die eigene Seele gezwungen. Die Auflösung kollektiver Identitäten in die vielen und widersprüchlichen Splitter des individualisierten Selbst stellt jede Person jederzeit vor grundlegende Entscheidungen. Umso wichtiger wird die Zeit als Medium der Selbstanschauung. Umso bedeutender wird deshalb auch der Versuch populistischer Politiken, die Zeit durch quasitheologische Angebote von kollektiven Regeln und Versprechungen für die einzelne Person wieder außer Kraft zu setzen. Das ist das Antidemokratische an Populismen. Sie täuschen die Zeitlosigkeit religiöser Verbindlichkeiten vor.
Es ist die Erkenntnis des Selbst der Person, daß die Endlichkeit nur dieses Selbst regiert, daß aber selbst der eigene Tod auch nur ein Augenblick im unendlichen Strom der Vorläufigkeiten darstellen wird. Jede Handlung. Jeder Gedanke. Jedes Gefühl. Die Wirkung des Lebens aus diesem Selbst führt sich in anderen weiter. Jedes Leben ist in dieser Wirkung immer schon die Fortsetzung des Lebens anderer und wird selbst zur Fortsetzung anderer werden. Es ist diese Vorläufigkeit, in der das Selbst seine Verantwortung begründet sehen muß.
Im Roman »Flammenwand.« geht es um das Begreifen dieser Vorläufigkeit allen Endes in der Zeit. Vorläufigkeit wird in Form und Inhalt untersucht. Der Behauptung, es gäbe eine endgültige Formulierung, werden die vielen Möglichkeiten entgegengehalten, ein und dieselbe Szene zu schildern. Gegen eine auktoriale Behauptung über eine Person wird die innere Vielstimmigkeit eines Selbst zu Gehör gebracht. Der Fiktion einer einzigen Zeit des Werks wird die Vielzeitigkeit des Arbeitens, des Gangs der äußeren Welt und der inneren Entwicklung des Romans entgegengesetzt. In der Notierung der Politik in der äußeren Welt wird genau beschrieben, wie die Handlungen Einzelner sich in die Leben der Vielen entwerfen und wie daher Politik noch viel genauer und viel persönlicher beobachtet werden muß.
Der Roman »Flammenwand.« erkämpft sich im gerade tobenden Kampf von vormodernen Quasitheologien gegen die atheologischen Gegebenheiten der Moderne eine literarische Atheologie des Zeitlichen.
Zum Roman Flammenwand., der im Mai 2019 erscheinen soll, schreibt der Verlag:
Stockholm im März, klirrende Kälte. Auf Abstand zur neuen Rechtsregierung in Österreich verbringt Adele ihr Sabbatical zusammen mit Gustav in Schweden. Seit kurzem sind sie ein Paar, irgendwie, und wollen sich besser kennenlernen. Adele hat Zweifel: Muss sie seine Zurückhaltung auf sich beziehen? Oder braucht er einfach mehr Zeit? Als sie erfährt, dass Gustav ein Doppelleben führt, brechen alte Verletzungen wieder auf, es beginnt eine wüste und verstörende Reise ins Innere.
Marlene Streeruwitz, die Meisterin des feministischen Romans, erzählt ebenso eindrucksvoll wie subtil von den Mechanismen der Macht und ihren Angriffen auf die Würde der Person.
Durch eine verräterische Liebesgeschichte entfaltet sich in Marlene Streeruwitz’ furiosem Roman die Krise der Gegenwart.
Marlene Streeruwitz, Studium der Slawistik und Kunstgeschichte. Theaterstücke, Romane, Erzählungen, Hörspiele, Essays – jüngst (u.a.): Das wird mir alles nicht passieren. Wie bleibe ich FeministIn. 11 Erzählungen (2010); Die Schmerzmacherin. Roman (2011); Poetik (2014); Nachkommen. Roman (2014); Nelia Fehn: Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland. Roman (2014); Poetik. Tübinger und Frankfurter Vorlesungen (2014); Über Bertha von Suttner (2014); Yseut. Roman (2016).
Kurt Freimüller, Studium der Philosophie und Romanistik in Wien und Bordeaux, universitäre Lektorate; lebt als Sprachlehrer und Spezialist für außerordentliche literarische Forschungen in Wien.
Konstanze Fliedl, Studium der Germanistik, Theologie und Kunstgeschichte in Wien. Professorin für Neuere deutsche Literatur an der Universität Wien. Publikationen und Herausgebertätigkeit vor allem zu österreichischen Autorinnen und Autoren, zahlreiche literaturkritische Beiträge in Rundfunk und Presse. Forschungsschwerpunkte: Literatur des 19. und des 20. Jahrhunderts, Literatur von Frauen, Editionstechnik. Herausgeberin der historisch-kritischen Ausgabe der Werke Arthur Schnitzlers (2011ff.).
Georg Spitaler ist Politologe und Historiker am Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung (VGA). Lehrbeauftragter an der Universität Wien, Forschungsschwerpunkte: Politische Theorie und Cultural Studies, ArbeiterInnengeschichte, Fragen des Politischen im Sport. Aktuelle Publikation zum Thema: denken, schreiben, tun. Politische Handlungsfähigkeit in Theorie, Literatur und Medien (hg. mit Amália Kerekes, Marion Löffler, Sabine Zelger, 2018).
Marion Löffler, Politikwissenschafterin, Lehrbeauftragte für politische Theorie, politikwissenschaftliche Geschlechterforschung und Gender Studies an der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte u.a. Demokratie, Staat und Parlamentarismus, politische Männlichkeiten, Literatur in der politischen Ideengeschichte. Zuletzt erschienen: denken, schreiben, tun. Politische Handlungsfähigkeit in Theorie, Literatur und Medien (hg. mit Amália Kerekes, Georg Spitaler, Sabine Zelger, 2018); »In Defence of Democracy? Masculinist Reasoning, Homophobia, and the Impossibility of Gender Democracy in Thomas Mann’s Mario and the Magician«, in: Masculinities. A journal of identity and culture, 2018/9–10, 6–29.
Mandy Dröscher-Teille, Studium der Germanistik und Philosophie in Hannover, forscht u.a. zu Essayismus im 20. Jahrhundert, österreichischer Literatur, Crossing Gender, Metakritik und poetologischer Selbstreflexion. Autorinnen der Negativität. Essayistische Poetik der Schmerzen bei Ingeborg Bachmann – Marlene Streeruwitz – Elfriede Jelinek (2018).
Roland Spahr ist Lektor des S. Fischer Verlages und Mitherausgeber (mit Jörg Bong und Oliver Vogel) des Bandes Aber die Erinnerung davon. Materialien zum Werk von Marlene Streeruwitz (2007).
Daniela Strigl, Literaturwissenschaftlerin, Kritikerin, Essayistin (FAZ, Falter, Der Standard, Die Furche, Die Zeit u.a.). Mehrfache Jurytätigkeit (u.a. elfmal beim Klagenfurter Bachmann-Preis), seit 2007 Lehrtätigkeit am Institut für Germanistik der Universität Wien; Österreichischer Staatspreis für Literaturkritik 2001. Zuletzt erschienen: Walter Buchebner: ich die eule aus wien. Gedichte, Manifeste, Tagebücher (Hg., 2012); Berühmtsein ist nichts. Marie von Ebner-Eschenbach. Eine Biographie (2016); Alles muss man selber machen. Biographie. Kritik. Essay (2018).
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