Di, 20:00
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Lesung MARCEL BEYER
MARCEL BEYER (Dresden; Georg-Büchner-Preis 2016): NEUE UNIVERSALPROSA: SIE NANNTEN ES SPRACHE (Brueterich Press, 2016) / DAS BLINDGEWEINTE JAHRHUNDERT (Suhrkamp Verlag, 2017): Lesung und Gespräch • Moderation: Kurt Neumann
Büchner-Preisträger Marcel Beyer legt mit Das blindgeweinte Jahrhundert eine eigene Form von Universalprosa vor, die Zeitgeschichte, Ideengeschichte und Gefühlsgeschichte in einen sprachlichen Fluss und zugleich in den Sog der Zeit selbst zu verwandeln versteht. Dazu greift er einige Daten von gleichsam unauffälligen und zugleich tiefgreifenden Ereignissen heraus, zum Beispiel das »Busenattentat« auf Theodor W. Adorno in einem Hörsaal der Uni Frankfurt im Jahr 1969, den Besuch an Rilkes Grab des Bundeskanzlers Kohl am Vorabend der Auflösung der DDR 1989, den ersten Auftritt Heintjes im deutschen TV 1967, den Tränenausbruch der Ministerin Merkel in der Kabinettsitzung 1995, um sie mehrfach aufzugreifen und damit seinen Reflexions-, Assoziations- und Erzählstrom zu strukturieren.
Beyer formuliert eine Art poetisch-analytischer Tiefenchronik einer Epoche und verbindet dabei Traumerzählung mit lebensgeschichtlichen Details, literarisch-dichterische Komposition mit naturwissenschaftlicher Beobachtung, Kulturkritik mit Episodenkolportage. Die Leitmotive und eine stupende Fülle von Details, die in die Zeitentiefe der Kulturgeschichte reichen – das geistliche Tagebuch des Ignatius von Loyola ist nur eines der markanten Beispiele –, ergeben ein pulsierendes Geflecht und ein dynamisches Ganzes – den gesellschaftlich-geschichtlichen Strom, in dem die Vielzahl der Individuen treibt.
Die Spekulation über nicht oder schon vergossene Tränen und ihre mediale Verwandlung in Inszenierungen von Bedeutung bildet das spielerisch formierte Rückgrat des Buches, das aber bereits in einigen der Essays des Bandes Sie nannten es Sprache vorfiguriert wurde, u.a. in dem Text Friederike Mayröcker. Logos und Lacrima, den er 2014 in der Alten Schmiede vorgetragen hatte.
Marcel Beyer, *1965 in Tailfingen/Württemberg, wuchs in Kiel und Neuss auf. Er studierte von 1987 bis 1991 Germanistik, Anglistik und Literaturwissenschaft an der Universität Siegen; 1992 Magister artium mit einer Arbeit über Friederike Mayröcker, lebt seit 1997 in Dresden. Mitherausgeber der Reihe Vergessene Autoren der Moderne; 1990 bis 1993 Lektor der Literaturzeitschrift Konzepte; 1992 bis 1998 Mitarbeit an der Musikzeitschrift Spex. Veröffentlichungen (Auswahl): Walkmännin. Gedichte (1990); Das Menschenfleisch. Roman (1991); Friederike Mayröcker: eine Bibliographie 1946–1990 (1992); Brauwolke. Gedichte (1994); Flughunde. Roman (1995); Falsches Futter. Gedichte (1997); Spione. Roman (2000); Erdkunde. Gedichte (2002); Nonfiction. Essays (2003); Vergeßt mich. Erzählung (2006); Kaltenburg. Roman (2008); Arbeit Nahrung Wohnung. Opernlibretto (Komposition Enno Poppe; 2008); IQ. Testbatterie in 8 Akten. Opernlibretto (Komposition Enno Poppe; 2012); Putins Briefkasten. Acht Recherchen (2012); Graphit. Gedichte (2014); zuletzt Libretto für Toshio Hosokawas Oper Erdbeben. Träume (UA 2018).
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