Mi, 18:00
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STUNDE DER LITERARISCHEN ERLEUCHTUNG: Nomadische Kultur und Regulative der Sesshaften
KELIDAR: Romanzyklus in zehn Bänden (Originalausgaben zwischen 1978–1983 erschienen) von
MAHMUD DOULATABADI (Iran) • BODO HELL (Wien) rezitiert aus der deutschsprachigen Ausgabe der Bücher 1+2, übersetzt von Sigrid Lotfi (Unionsverlag, 1997, 2017), und kommentiert
Bodo Hell notiert u.a.: wer eine dezidiert literarische Darstellung der einst weltweiten Hirten-Herden-Clan-Gesellschaften sucht, könnte sich dem Iran der Revolutionswende 1979 zuwenden und wird im 10-bändigen Mammutwerk »Kelidar« (Bergname) des nomadenstämmigen Teheraner Autors M.D. fündig, von dem allerdings nur die ersten beiden Bände ins Deutsche übersetzt sind.
Hauptprotagonistin dieses Kompendiums, das mit großer Suggestivkraft die Welt der Chorassan-Nomaden im Nordosten des Landes zeichnet und über hunderte Seiten eine Erzähltechnik und Personenverzweigung entfaltet, die, mag sein einer mündlichen Praxis am Lagerfeuer mit stetigem fast Verlöschen und wieder Aufflackern der Glut entsprungen, in ihrer Detailliertheit und Präzision mit dem Sekundenstil eines Claude Simon vergleichbar wirkt, ist eine junge (kurdischstämmige) Frau und deren Familie.
Der Roman »Der Colonel« (2009/2010), die Familiensaga eines pensionierten Offiziers der Schah- und Nachschah-Zeit, dessen Kinder jedes sich einer anderen politischen Partei zugehörig fühlt, ist nie offiziell im Original erschienen; es wurde ins Deutsche und Englische übersetzt und daraus einmal von fremder Hand in schlechtes Farsi rückübersetzt(!) – eine beispielhafte Editionsgeschichte der Kulturpolitik des religiös geführten Landes. Wer das traurige Schicksal der heutigen iranischen Intellektuellen verstehen will (die aufgeschlossensten unter ihnen wurden eben wieder zu Tausenden eingesperrt), sollte an dieser hochliterarischen Gesellschaftsanalyse nicht vorbeigehen.
Mahmud Doulatabadi (auch: Mahmoud Dowlatabadi), *1940 im Dorf Dowlatabad, im Nordosten Irans, ist Schriftsteller, Schauspieler und Bibliothekar; er lebt in Teheran und wirkt auch als Universitätsdozent. Mit 13 Jahren verließ er sein Heimatdorf und arbeitete als Schafhirte, Landarbeiter, Velomechaniker und in einer Baumwollfabrik. In Teheran arbeitete er in einer Druckerei und als Frisör, als Lagerverwalter und als Souffleur beim Theater, in Maschhad besuchte er das Abendgymnasium. 1960 Aufnahme in eine Schauspielschule, 14 Jahre Schauspieler. 1975 Verhaftung mitten in einer Gorki-Aufführung, zwei Jahre Gefängnis. Er begann zu schreiben und verfasste Romane und Theaterstücke.
Kelidar gilt als einer der bedeutendsten iranischen Romane. Mahmud Doulatabadis Werke wurden ins Arabische und in mehrere europäische Sprachen übersetzt. Auf Deutsch erschienen die Romane: Der leere Platz von Ssolutsch (1991); Die Reise (1992); Kelidar (1997); Die alte Erde (2000); Der Colonel (2010); Nilufar (2016).
Bodo Hell, *1943; Schriftsteller und Almhirte. Prosa, Radiokunst, Theater, Schrift im öffentlichen Raum, Texte zur bildenden Kunst, Fotos, Film, Musik. Zuletzt erschien (u.a.): Bodo Hell Omnibus. Texte zu/Beiträge von Bodo Hell (2013); Landschaft mit Verstoßung. Ein dreifaltiges Hörstück (mit Friederike Mayröcker und Martin Leitner, 2014); Stadtschrift. Fotos und Texte (2015).
Farhad Nadjafi, *1971 in Deutschland, Schulbesuch in Deutschland und im Iran, Übersetzerstudium Farsi – Deutsch. Unterrichtet seit 1995 am Österreichischen Kulturforum Teheran, seit 2017 stv. Leiter der Sprachkursabteilung.
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