Do, 19:00
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POLIVERSALE 2018. 9. Abend
GEDICHTE DURCHDRINGEN JAHRZEHNTE II (eine Art Werkportrait): NACH DER STIMME …
FELIX PHILIPP INGOLD (Schweiz): Leseabend aus FREIE HAND. Ein Vademecum durch kritische, poetische und private Wälder (edition Akzente, Hanser Verlag, 1996), WORTNAHME. Jüngste und frühere Gedichte (Urs Engeler Editor, 2005), NIEMALS KEINE NACHTMUSIK. Gedichte und Prosa aus zehn Jahren (Ritter Verlag, 2017) • Einleitung und Moderation: ANDREAS PUFF-TROJAN (Universität München) • mit freundlicher Unterstützung durch die Schweizer Kulturstiftung PRO HELVETIA
Philologische Genauigkeit, umfassende kulturgeschichtliche Bildung, eine hohe Empfindlichkeit und Empfänglichkeit für das einzelne Wort und eine darauf gründende Spiritualität des Gedichteten und Geschriebenen machen Felix Philipp Ingold zu einer herausragenden Persönlichkeit der deutschsprachigen Literatur. Seine weit ausgreifende Tätigkeit als Übersetzer aus dem Russischen, dem Tschechischen und dem Französischen erweisen ihn in Verbindung mannigfacher Herausgeberschaft und einer intensiven Kulturpublizistik (aktuell u.a. die Reihe Grenzgänge der Literatur in Volltext – Zeitschrift für Literatur) als vitale Drehscheibe europäischer Dichtung. Lesungen aus zwei retrospektiv angelegten Lyriksammlungen und einer Art literarisch-poetischen Logbuchs und die damit verknüpften Gespräche mit dem Wiener Literaturwissenschaftler und -kritiker Andreas Puff-Trojan formen das Portrait einer singulären literarischen Persönlichkeit.
Formaler Reichtum und handwerkliche Strenge verbinden sich in Ingolds Dichtung mit weitläufigen literarischen Reminiszenzen, mit bisweilen ironisch unterlegten Motiven aus mythologischen, biblischen oder philosophischen Zusammenhängen, aber auch mit immer wieder neuen Einsichten, wie sie durch massenmediale News, durch Klatschberichte und Werbespots vermittelt werden, hin und wieder auch durch die eigene Lebenserfahrung, deren Wahrhaftigkeit von kleinen alltäglichen Wahrnehmungen weit stärker geprägt ist als von irgendwelchen großen Wahrheiten. (Martin Zingg, NZZ)
Felix Philipp Ingolds Arbeiten tragen nie die Spur des Flüchtigen, gar Leichtfertigen, sondern überzeugen durch Gründlichkeit und Ernst ebenso wie durch selbstbewussten Esprit. Als Lyriker ist Ingold ein poeta doctus, der mit Formen und Traditionen spielt, Zitate versteckt, rhetorische Figuren vorführt. Dennoch bleibt er nicht bei alexandrinischer Rätselkunst. Im versatilen Gelehrten versteckt sich ein bedrängtes, bisweilen auch mutwilliges lyrisches Ich. (Manfred Papst, NZZ am Sonntag)
Nicht nur im Wildern nach Zitaten, mit dem die klaren Revier- und Positionsbestimmungen unterlaufen werden, in denen literarische Auseinandersetzungen zu erstarren drohen, auch von wissenschaftlicher Seite läßt Ingold das Gegenspiel zu, das mit der Bestätigung des autonomen Strebens die Verunsicherung der eigenen Positionen einführt. In Poesie und Sprachstruktur, einem Referat und einem Interview Roman Jakobsons, die Ingold übersetzt hat, wird der Modellcharakter aller Arbeit an Sprache behandelt, an dem sich, wie an Ingolds Auffassung von kollektiver Autorenschaft bzw. von Sprache als Autor, die Regeln jeder wirklichen Förderung von Kultur ablesen lassen, allen voran die Grundregel, daß nur autonome Strukturen Integration ermöglichen, zu der auch die gelungenen Synthesen der Literatur gehören, daß Personalisierung und Selektion, die nicht auf den Spielregeln und inhärenten Bedingungen der jeweiligen Kunstbereiche, sondern auf politischen Klischees beruhen, verdeckte Zensur bedeuten, die kritisches Potential vernichtet und Kultur zu Folklore degradiert. (aus Benedikt Ledeburs Laudatio zum Ernst-Jandl-Preis, 2003)
Niemals keine Nachtmusik enthält thematisch höchst unterschiedliche, informell, nach »innerer« Notwendigkeit angelegte, teils in Prosa-Betrachtung mündende Gedichte Felix Philipp Ingolds aus den letzten zehn Jahren, dazu ein Hörstück für drei Stimmen. Konzentriert und nonchalant zugleich unternimmt der findige Form-Experimentator und Forscher von Wirkungen poetischer Sprache Sondierungsgänge ins System sprachlicher Zeichen und untersucht im kreativen Prozess Mechanismen der Produktion von Bedeutung und Sinn. Ingold durchstreift dabei einen ganzen Kosmos an Tradition von Kunst, Dichtung, Musik und Philosophie, umkreist Fremdes mit Anspielungen und amalgamiert solches mit Eigenem zu hochkomplexen poetischen Gebilden. Eine solche Lyrik befördert eine Art umfassenden Verstehens: Im Gleiten über die Brüche zwischen Wörtern und Sätzen, im Driften entlang von Gleichklang und Mehrfachbedeutung, im Nachvollzug gedanklicher Zickzackbewegungen und Rösselsprünge werden kognitive, emotionale und körperliche Effekte zugleich stimuliert.
Felix Philipp Ingold, *1942 in Basel. Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft, Slawistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Basel und Paris. Arbeit als Publizist, Übersetzer und Journalist. Ordinarius (emeritiert) für Kultur- und Sozialgeschichte Russlands an der Universität St. Gallen. Lebt in Zürich und Romainmôtier. Preise: Petrarca-Preis (1989): Riehener Kulturpreis (1992); Ehrengabe des Kantons Zürich (1997); Großer Literaturpreis des Kantons Bern (1998); manuskripte-Preis (2001); Ernst-Jandl-Preis (2003); Preis für Übersetzung als Poesie (Erlangen 2005).
Ingolds literarische Bücher erschienen sowohl in großen deutschen (u.a. Hanser, Klett-Cotta, Suhrkamp) und in literarisch sich exponierenden kleineren Verlagen des gesamten deutschen Sprachraums (u.a. Kleinheinrich, Droschl, Engeler, Howeg), die wissenschaftlichen Arbeiten in namhaften Wissenschaftsverlagen. Buchpublikationen (Auswahl) – Gedichtbände: Schwarz auf Schnee (1967); Spleen und überhaupt (1969); Unzeit (1981); Haupts Werk. Das Leben. Prosa und Gedichte (1984); Fremdsprache. Gedichte aus dem Deutschen (1984); Mit anderen Worten. Prosagedichte (1986); Und das soll ein Gedicht sein (1987); Echtzeit (1989); Ausgesungen (1993); Restnatur (1994); Nach der Stimme. Ein Gedicht in dreizehn Sätzen (1997); Auf den Tag. Genaue Gedichte (2000); Jeder Zeit. Andere Gedichte (2002); Wortnahme (2005); Steinlese (2011); Ausgespielt. Ein Hundert Quartette (2015); Fortschrift. Ein Gedicht in fünfzehn Würfen (2016); Niemals keine Nachtmusik (2017). – Prosa: Leben Lamberts (1980); Dostojewski und das Judentum. Essay (1981); Letzte Liebe (1987); Das Buch im Buch (1988); Unzeit (1991); Ewiges Leben (1991); Der Autor am Werk. Essays (1992); Autorschaft und Management. Essay (1993); Freie Hand. Ein Vademekum durch kritische, poetische und private Wälder (1996); Der große Bruch. Russlands kulturelle Moderne (2000); Im Namen des Autors. Arbeiten für die Kunst und Literatur (2004); Gegengabe (2009); Alias. Roman (2011); Leben & Werk. Tagesberichte zur Jetztzeit (2014); Noch ein Leben für John Potocki. Roman (2014); Nee die Ideen. Pataphysische Fermaten (2014); Direkte Rede (2016); Todeskonzepte der russischen Avantgarde (2017). Übersetzung mehrerer Werke u.a. von Joseph Brodsky, Francis Ponge, Edmond Jabès, Ossip Mandelstam, Jan Skácel, Gennadij Ajgi, Michel Leiris, Marina Zwetajewa.
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