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GEDÄCHTNISMOMENTE DER LITERATUR / STUNDE DER LITERARISCHEN ERLEUCHTUNG
Zum 5. Todestag des Schweizer Erzählers JÖRG STEINER (1930–2013; Erich-Fried-Preis 1994) – GESELLSCHAFTLICHES AUSSENSEITERTUM UND LITERARISCHE RADIKALITÄT • RUTH SCHWEIKERT (Zürich) und SAMUEL MOSER (Biel) lesen und kommentieren Steiners Bücher EIN MESSER FÜR DEN EHRLICHEN FINDER. Roman (Walter Verlag, 1966/Suhrkamp Verlag, 1980); SCHNEE BIS IN DIE NIEDERUNGEN. Erzählung (Luchterhand Verlag, 1973/Neuausgabe: Suhrkamp Verlag, 1990) • mit freundlicher Unterstützung durch die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia
Jörg Steiner erzählt in seinem zweiten Roman »Ein Messer für den ehrlichen Finder« (1966) die Geschichte des jungen Delinquenten José Ledermann. »Schose«, auch »Schnorrer« genannt, hat einen Klassenkameraden umgebracht. Seine Geschichte ist auch die der kleinen Industriestadt Biel am Ende des zweiten Weltkrieges, in den Jahren des Aufschwungs. Aber nichts ist in den Augen des kaum in Erscheinung tretenden, doch vernehmbaren Erzählers gesichert. Jörg Steiners distanzierte Beobachtung sowie seine »arme« Sprache sind durchsetzt von einer Skepsis, die dem Erzählen schlechthin gilt. Das macht den Roman zu einem Grundbuch der modernen Schweizer Literatur. Umso aufregender, dass die nächste längere Erzählung »Schnee bis in die Niederungen« (1973), die sich mit Josés schattenhaftem Freund Reubell beschäftigt, eine nochmalige und derartige Radikalisierung des Erzählens bringt, dass man Steiner bereits da zur literarischen Avantgarde der deutschsprachigen Literatur zählen muss. (Samuel Moser)
Jörg Steiner, *1930 in Biel/Bienne, †2013. Einige Jahre Volksschullehrer, ausgedehnte Reisen und Auslandsaufenthalte, lokalpolitische Ämter in Biel. Er erhielt u.a. den Erich-Fried-Preis 1994, den Max-Frisch-Preis 2002. Buchpublikationen (Auswahl): Eine Stunde vor Schlaf. Erzählung (1958); Strafarbeit. Roman (1962); Ein Messer für den ehrlichen Finder. Roman (1966); Schnee bis in die Niederungen. Erzählung (1973); Als es noch Grenzen gab. Gedichte (1976); Das Netz zerreißen. Roman (1982); Olduvai. Geschichten (1985); Fremdes Land. Eine Erzählung (1989); Weissenbach und die anderen. Roman (1994); Wer tanzt schon zu Musik von Schostakowitsch (2000); Ein Kirschbaum am Pazifischen Ozean (2008).
Ruth Schweikert, *1964 in Lörrach, lebt als Schriftstellerin und Theaterautorin in Zürich. Publikationen: Erdnüsse. Totschlagen. Erzählungen (1994); Paris-Paris. Prosa (1996); Augen zu. Roman (1998); Ohio. Roman (2005); Hin und Her (mit Peter Radelfinger, 2006). Theaterprojekte, u.a.: Augen zu (UA Zürich, 1998); Mary & Mary (UA Chur, 2009).
Samuel Moser, *1951 in Lyss, Dozent für Literaturkritik am Schweizer Literaturinstitut in Biel; Rezensent namhafter deutschsprachiger Zeitungen; Präsident der Stiftung Robert Walser Biel; Essays (u.a. zu F. Mayröcker, K. Hoffer), Herausgeber von Ilse Aichinger. Leben und Werk (1990); Paul Nizon. Werkausgabe (2010).
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