Mo., 13:00
AS
PÉTER-NÁDAS-Symposium / Sessions I & II
Leitsterne des europäischen Erzählens II • ein ungarisch-österreichisches Symposium (in deutscher und englischer Sprache) zu PÉTER NÁDAS: PÁRHUZAMOS TÖRTÉNETEK / PARALLELGESCHICHTEN. Roman (aus dem Ungarischen von Christina Viragh; Jelenkor Kiadó, 2005/Rowohlt Verlag, 2012) • Konzept, Organisation und Durchführung: WOLFGANG MÜLLER-FUNK (Universität Wien, Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft) und GÁBOR SCHEIN (Eötvös-Lóránd-Universität, Budapest, Institut für Literatur- und Kulturwissenschaft) – mit Unterstützung der Aktion Österreich-Ungarn (bilaterale Regierungskooperation für Wissenschaft und Erziehung) und der Wissenschaftsabteilung der Stadt Wien, in Kooperation mit der Alten Schmiede Wien
13.00 – 15.30:
Begrüßung
Session I – Moderation: Andrea Seidler (Universität Wien)
Referate von Károly Kókai (Wien): Péter Nádas̕ʼ »Parallelgeschichten«: Der historische Hintergrund • Gábor Schein (Budapest): Gebäude lesen in den »Parallelgeschichten« – Geschichtlichkeit des Raumes in der Innenstadt von Budapest • Florian Huber (Lüneburg): Das Denken der Verhältnisse und der Körper der Historie – Geschichtsbilder in Nádasʼ Péter »Parallelgeschichten« • Diskussion
16.00 – 18.15:
Session II – Moderation: László Földényi (Budapest)
Referate von Mária Bartal (Budapest): Revealing and Subversive Laughter in »Parallel Stories« • Alfred Springer (Wien): Körperlichkeit und Sexualität in Nádas̕ »Parallelgeschichten« • Orsolya Rákai (Budapest): Gneis: ein Experiment zum korporalen Lesen des Daseins ohne narrative und axiomatische Kratone • Diskussion
22./23.1. Der Monumentalroman von Péter Nádas »Parallelgeschichten« (»Párhuzamos történetek«) ist eine der großartigsten Zumutungen der neuesten europäischen Literatur. Er ist 2005 erschienen und wurde seitdem in viele europäische Sprachen übersetzt. Seit 2012 liegt das Werk auch in deutscher Übersetzung vor.
Die Rezensenten haben einhellig hervorgehoben, dass dieses Werk die traditionellen Gattungserwartungen unterläuft und zugleich übertrifft. Der Roman reflektiert auf überaus paradoxe Weise die Unmöglichkeit der Wiederherstellung einer zerbrochenen Totalität, und er verzichtet dabei auf die Idee einer kausalen Gesamtschau. Indem er die Brüchigkeit des geschichtlichen Daseins selbst zum Thema und zum Ausgangspunkt der narrativen Komposition macht, treten die äuẞerst komplexen poetischen, räumlichen, sozialen, psychologischen, geschichtlichen, usw. Erzählbezüge zutage. Nádas gibt uns eine Lektion, die Welt nicht durch vertikale Unterordnungen in Griff bekommen zu wollen, die leicht theoretisierbar sind, sondern die unendliche Horizontalität der Sinneswahrnehmungen immer wieder zu bewundern und ohne Urteilsbildung zu reflektieren. Die Wahrnehmung, so hatte Nádas in seinem Essay »Der eigene Tod« schon geschrieben, geht über die Zeitlichkeit hinaus und ist nicht an die Räumlichkeit gebunden.
Es geht Nádas um eine Schicksalsverstrickung jenseits traditioneller Metaphysik oder historischer Determination, um eine Kausalität »außerhalb der sichtbaren Kausalität«. Und diesen »verborgenen und rätselhaften Zusammenhang«, der ihm so wichtig sei, habe er, so der Autor, in einer »geschlossenen Erzählform« mit Anfang und Ende und säuberlich durchgehaltener Perspektive nicht angemessen ausdrücken können. Er musste nicht nur Angst, Scham, falsche Rücksicht auf Konventionen, notwendige Lügen und eingeschliffene Heucheleien hinter sich lassen. Es war vor allem unverzichtbar und notwendig, die wahrheitshinderlichen formalen Zwänge der Romangattung beiseite zu räumen und, lange nach den entsprechenden Versuchen Prousts und Joyce’ sowie – mit Blick auf den österreichischen Kontext – Brochs und Musils, den Roman, eine literarische Gattung, die die europäische Identität zutiefst mitgeprägt hat, regelrecht nochmals neu zu erfinden.
In einem interdisziplinären Symposium werden Experten aus Österreich, Ungarn und Deutschland, Literatur- und Kulturwissenschaftler, Historiker, Psychoanalytiker, Theoretiker der Architektur und der Psychologie zu Wort kommen. Péter Nádas wird am Symposium teilnehmen, aus seinem Roman lesen und mit den Organisatoren des Symposiums ein Podiumsgespräch führen.
(Wolfgang Müller-Funk, Gábor Schein)
Péter Nádas, *1942 in Budapest, Kind jüdisch-kommunistischer Eltern; früher Tod der Mutter, Freitod des Vaters 1958. Studium der Chemie, Fotograf und Fotoreporter. 1965 erste literarische Veröffentlichung, nach 1969 siebenjähriges Publikationsverbot. Seit 1985 freier Schriftsteller. Mitglied der Berliner Akademie der Künste und der Pariser Académie Européenne des Sciences, des Arts et des Lettres und der Széchenyi-Akademie für Literatur und Kunst in Budapest. Er lebt in Budapest und Gombosszeg (Komitat Zala). Péter Nádas war im Juni 1979 erstmals in der Alten Schmiede zu Gast, 2002 hat er hier zwei Wiener Vorlesungen zur Literatur zu den Themen Behutsame Todesbeschreibung und Behutsame Ortsbeschreibung gehalten.
Werkauswahl: Ende eines Familienromans (1979; Egy családregény vége, 1977); Buch der Erinnerung (1991; Emlékiratok könyve, 1986); Von der himmlischen und der irdischen Liebe (1994; Az égi és a földi szerelemröl, 1991); Heimkehr. Essays (1999; Hazatérés); Der eigene Tod (2002; Saját halál, 2004); Parallelgeschichten (2012; Párhuzamos történetek, 2005); Schattengeschichte – Lichtgeschichte. Fotografien (2012); In der Dunkelkammer des Schreibens. Übergänge zwischen Text, Bild und Denken (2012); Aufleuchtende Details. Erinnerungen (Világló részletek; 2017).
Mária Bartal, Dozentin der Eötvös-Lóránd-Universität (Budapest). Schwerpunkte: Theorie und Geschichte der modernen Lyrik, Probleme der metaphorischen Repräsentation der Körperlichkeit.
Zsolt Bagi, Dozent der Universität Pécs. Publikationen über die Philosophie der sozialen und der kulturellen Emanzipation bzw. über die Ästhetik der Emanzipation.
Bernhard Fetz, Literaturwissenschaftler, Direktor des Literaturarchivs an der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. Schwerpunkte: österreichische Gegenwartsliteratur, Biographieforschung.
László Földényi, Univ.-Prof. der Eötvös-Lóránd-Universität (Budapest). Bücher über Kunsttheorie und über die Ästhetik der Melancholie, über Heinrich von Kleist, Franz Kafka und Imre Kertész. Zuletzt: Orte des Todes. Kafka, Chirico und die anderen (2017).
Tibor Gintli, Leiter des Instituts für Literatur- und Kulturwissenschaft der Eötvös-Lóránd-Universität (Budapest). Er beschäftigt sich mit narratologischen Aspekten der modernen Prosa.
Florian Huber, studierte Philosophie in Wien und am Harvard Department of the History of Science. Seit 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kulturgeschichte des Wissens der Leuphana-Universität Lüneburg. Mit Christina Wessely (Hg.): Milieu – Umgebungen des Lebendigen in der Moderne (2017).
Ursula Knoll, Germanistin, Autorin, Österreich-Lektorin in Prag. Arbeitet zum Thema Geständige Nazis. Zur Sexualisierung von Nazi-TäterInnenschaft in fiktionalen Bekenntnissen.
Károly Kókai, Privatdozent am Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Wien. Schwerpunkte: ungarische Landeskunde, ungarische Avantgarde des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart.
Wolfgang Müller-Funk, Univ.-Prof., Literatur- und Kulturtheoretiker, Essayist und Lyriker. Internationale Lehr- und Forschungstätigkeit. Zuletzt erschien die Monographie Theorien des Fremden sowie der Lyrikband Wunschbilder.
Orsolya Rákai, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Ungarischen Wissenschaftlichen Akademie in Budapest. Schwerpunkt: korporale Narratologie.
Gábor Schein, Lyriker und Schriftsteller, Dozent der Eötvös-Lóránd-Universität (Budapest), derzeit Gastprofessor am Institut für Vergleichende Europäische Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Wien. Schwerpunkte: Geschichte der Poetik der modernen Lyrik, Theorie der Moderne.
Andrea Seidler, Univ.-Prof. an der Abteilung Finno-Ugristik der Universität Wien. Schwerpunkte u.a.: ungarische Literaturgeschichte und ungarische Sprache, Mehrsprachigkeit, historische Medienforschung, Reise als Narrativ, Aufklärungsforschung.
Alfred Springer, Univ.-Prof., Psychiater und Psychotherapeut. Lehrt an der Sigmund-Freud-Privatuniversität. Publikationen in den Bereichen Suchtforschung, Psychoanalyse, Sexualwissenschaft und Kunstpsychopathologie.
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AS – Alte-Schmiede-Werkstatt | Schönlaterngasse 7A, 1010 Wien
Stufenloser Zugang zu Galerie und Schmiede-Werkstatt
Barrierefreies WC im Erdgeschoss
Zu Veranstaltungszeiten Behindertenparkplatz vor dem Haus Schönlaterngasse 13
Freier Eintritt bei allen Veranstaltungen in der Alten Schmiede!