Do, 19:00
LQ
Lesung BODO HELL
BODO HELL (Wien) liest aus RITUS UND RITA. Essay (Literaturverlag Droschl, 2017) • BRIGITTE SCHWENS-HARRANT(Kulturredakteurin, Die Furche) Einleitung und Gespräch mit dem Autor • unter Einbeziehung liturgischer Recycling-Geräte von GÖTZ BURY (Wien)
Ritus und Rita umfasst 19 (Primzahl!) Streifzüge Bodo Hells durch die Reviere von Heiligenlegende, bildlicher und figürlicher Darstellung, Typologie und historischem Zeugnis. Er spürt darin Denk- und Wahrnehmungsmuster auf, die da und dort, im ländlichen Lebenskreis und im urbanen Raum, auch heute noch aufblitzen oder mehr oder minder für den Alltag prägend geblieben sind. Die Ergebnisse seiner hagio- und ethnographischen Forschungen verwandelt er dann in ein dichtes und gedichtetes Sprachgewebe, das Zusammenhänge zwischen vorzeitlichem Tiefenwissen und aktueller Lebenspraxis offenbart. So lassen sich etwa die hl. Isabella von Portugal (1271–1336) oder Elisabeth von Thüringen (1207–1231) durchaus wie gegenwärtig beispielgebende Frauen verstehen.
Begleitet von der Religionswissenschafterin und Literaturkritikerin Brigitte Schwens-Harrant und umgeben von Objekten aus Götz Burys Wunderkammer legt Bodo Hell an diesem Abend Abseitiges und Wissenswertes aus Kunstgeschichte und Brauchtum dar, wie die Kleiderordnung der Muttergottes, die Christmette, die Formen und Klänge der (Kirchen- und Kuh-)Glocken u.a.m.
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Es ist oft unerklärlich, wie Götz Bury, der gerne in seinen Performances als ein Double des legendären Paul Bocuse auftritt, zu seinen Eingebungen kommt, und daher hat sein Erscheinen auch schon oft ehrliches Erstaunen, ja tiefe Verwunderung hervorgerufen. Er hat sein Füllhorn mit den außergewöhnlichsten Mirakeln gefüllt, um es über das erwartungsfrohe Publikum zu ergießen. Um die zugehörigen neobarocken Prunkobjekte zu fertigen, baut Götz Bury aus seiner Küche alles aus, was nicht niet- und nagelfest ist, von den Kochtöpfen angefangen, über das Besteck und die Abwasch bis hin zur Geschirrspülmaschine ist alles verarbeitet, was eine moderne Küche heute so hergibt. Aus diesen Zutaten schafft er sich ein hochherrschaftlich anmutendes Ambiente, das feudale Pracht und überschwänglichen Luxus simuliert. Ein Sakralraum des guten Geschmackes, mit allen Insignien irdischer und himmlischer Macht. Ein opulentes, barock-sakrales Gesamtkunstwerk, ein Rausch der Gefühle, eine Orgie der Selbstinszenierung. Es wird eine Machtfülle suggeriert, die angesichts der offensichtlichen Sachlage und des verwendeten Edelstahlschrottes real ganz offensichtlich nicht existiert. Prestigeobjekte, Fetische und Kultgegenstände als nachhaltige Kopien sozusagen. Ein Größenwahn auf Sparflamme, Allmachtsphantasien im Hosentaschenformat. Die grandiose Inszenierung von Macht auf menschliche Größe geschrumpft.
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Bodo Hell, *1943 in Salzburg. Studien am Salzburger Mozarteum (Orgel), an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien (Film und Fernsehen) sowie an der Universität Wien (Philosophie, Germanistik und Geschichte). Lebt in Wien und am Dachstein. Prosa, radiophone Arbeiten, Theater, Text im öffentlichen Raum, Fotos, Film, Musik, Almwirtschaft. Auszeichnungen (u.a.): 1972 Rauriser Literaturpreis, 1991 Erich-Fried-Preis, 2003 Preis der Literaturhäuser, 2006 Telekom-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Preis. Publikationen: Dom Mischabel Hochjoch. 3 Bergerzählungen (1977); Stadtschrift (1983); Larven Schemen Phantome/Der Donner des Stillhaltens (mit Friederike Mayröcker, 1986); 666. Erzählungen (1987); wie geht’s. Erzählungen (1989); Die wirklichen Möglichkeiten. Rede zum Erich-Fried-Preis (1992); Gang durchs Dorf: Fingerzeig (Fotobuch zu den Deinzendorf-Texten von Friederike Mayröcker, 1992); Gaußplatz 11 (mit Lotte Ingrisch u. Linde Waber, 1993); In allen Strophen geläufig (mit Martin Lachmair, 1993); Mittendrin. Erzählungen (1994); Herr im Schlaf. Ein Griff ins emblematische Alltagstheater (1996); Die Devise lautet. Erzählung (1999); Augenklappe (Fotografie: Otto Saxinger, 2000); Tracht : Pflicht. Lese- und Sprechtexte (2003); Nothelfer. Essay (2008); Herbe Garbe, Weiberkittel. Von Heiligen, Pflanzen und Substanzen (mit E. Wallnöfer, P. und W. Kubelka, 2008); Admont Abscondita. Prosa (mit N. Trummer, 2008); immergrün. Sudarium. Calendarium (mit Linda Wolfsgruber, 2011); Untersberg. Geschichten, Grenzgänge, Gangsteige (mit W. Seitter, W. Kubelka, E. Wallnöfer, 2012); Nachsuche. 3 Erzählungen (mit Ingrid Schreyer, 2012); Im Flug der Tage (mit Zeichnungen von Linde Waber, 2013); Bodo Hell Omnibus. Texte zu/Beiträge von Bodo Hell (2013); Landschaft mit Verstoßung. Ein dreifaltiges Hörstück (mit Friederike Mayröcker und Martin Leitner, 2014); Matri Mitram. Engelsgespräche/Bildersturm (mit Zeichnungen von Norbert Trummer, 2014); Stadtschrift. Erweiterte Fassung (2015); kein Maulwurfshügel. Topo-graphische SemmeringBilder (mit Zeichnungen von Norbert Trummer, 2016).
Brigitte Schwens-Harrant, *1967 in Wels (OÖ), studierte Deutsche Philologie und Theologie in Wien; Literaturkritikerin, Kulturredakteurin der Furche; Vortrags- und Lehrtätigkeit. Österreichischer Staatspreis für Literaturkritik 2015. Zahlreiche Publikationen zur österreichischen und internationalen Gegenwartsliteratur.
Götz Bury, *1960 in Hamburg, lebt seit 1986 als freischaffender Künstler in Wien. Ausstellungen und Performances, u.a. Kunst- und Kulturfestival SOHO in Ottakring, Wien (2008, 2009, 2010), Museum für angewandte Kunst Wien (2007, 2015), Museum of New Art Detroit/USA (2009), Technisches Museum Wien (2009), Kunsthaus Bregenz (2009), Neue Kunst Galerie Karlsruhe (2011, 2013, 2015, 2016), Jazzclub Porgy & Bess, Wien (2012, 2014, 2015), Museum Stift Admont/Steiermark (2015, 2016).
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