Mo, 19:00
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59. GRUNDBUCH – MARGIT SCHREINER: NACKTE VÄTER
GRUNDBÜCHER der österreichischen Literatur seit 1945 – gemeinsam mit dem Adalbert-Stifter-Institut, Linz • MARGIT SCHREINER: NACKTE VÄTER. Roman (1997, Haffmans Verlag) • MARGIT SCHREINER (Linz) liest aus ihrem Roman • ANKE BOSSE (Professorin der Universität Klagenfurt) Referat • Diskussion; Redaktion und Moderation: KLAUS KASTBERGER (Universität Graz) • 8.3., 19.30, Linz, Stifter-Haus • Grundbücher der österreichischen Literatur seit 1945 (Hg. K. Kastberger, K. Neumann) – Erste Lieferung (profile 14, Zsolnay, 2007); Zweite Lieferung (profile 20, Zsolnay, 2013)
Bilder des einmal so starken Vaters, der, wie alle, seine Kräfte verliert und sterben muss: Nackt, im Badezimmer bei offener Tür, nackt bei der Morgengymnastik, nackt in eiskalte Gebirgsseen springend; nackt unter einer Wolldecke nach einem Kollaps, nackt und alzheimerkrank durch die Wohnung geisternd. Die Erzählung beginnt mit der Beerdigung des Vaters und endet mit der Rückkehr der Erzählerin zu ihrem lebenslustigen Mann und dem lachenden Kind. Margit Schreiner erzählt über die Möglichkeiten und Mühen der Nähe zwischen Tochter und Vater.
Bereits bei seinem Erscheinen 1997 erschütterte der Roman. Heute wird uns noch deutlicher, wie sehr er Kernthemen unserer alternden Gesellschaft schmerzlichst und gültig auf den Punkt bringt: Alter, geistiger und körperlicher Verfall, lange quälende Abschiede, dann Tod der uns Nächsten – der Mutter, hier des Vaters. Hilflos steht die Ich-Erzählerin als unser aller Alter Ego vor dem Entgleiten in Fremdheit und totale Hilflosigkeit dessen, der – wie die Erzählerin in Rückblenden schildert – selber immer integrer Helfer und nah, am nächsten war: der Vater. Väter, Mütter, die schwinden und eben nicht bleiben, wie das Kind in uns glaubt. Margit Schreiners Buch geht an unsere innerste Substanz, bleibend. (Anke Bosse)
Es ist eine traurige Geschichte, von Anfang an, das Motto stammt von Michel de Montaigne: »Das Ziel unseres Lebenslaufes ist der Tod.« Die Erzählung beginnt also am Ziel und verfolgt den Lebenslauf des Vaters zurück, nicht chronologisch, sondern in Episoden. Glück und Unglück der Kindheit, Verwirrung des Heranwachsens, Schock des augenscheinlichen Verfalls. Hinter alldem steht die unausgesprochene Frage der Ich-Erzählerin, was und wen sie nun eigentlich verloren hat. (…) »Nackte Väter« ist eine rührende Erzählung. Sie demonstriert nicht nur die Vergänglichkeit väterlicher Kraft, sondern entblößt den letzten Grund der Existenz schlechthin. Margit Schreiner hat ihrem Vater einen schmucklosen und liebevollen Epitaph geschrieben und ihren Lesern ein eindrucksvolles Memento mori. (Daniela Strigl)
Schreiners Roman ist eine Chronik des Verdrängten, und darin liegt sein Reiz. Eine Erzählerin, die in der Mitte des Lebens steht, begibt sich an die Ränder des Bewußtseins, widmet sich den ersten und den letzten Tagen, dem Trost-Brotkrumen in der Kinderschürze und dem Anblick eines Sterbenskranken. Auf diese Weise aktiviert die Autorin beim Leser verschüttete Erinnerungen – vor allem daran, daß sich im Kleinen, fast Vergessenen der Kern des Daseins verbergen kann.
(Der Spiegel)
Margit Schreiner, *1953 in Linz, Studium der Germanistik und Psychologie in Salzburg. Lebte einige Zeit in Paris, Tokyo, Berlin, seit 2000 in Linz und in Italien. Neben Erzählwerken und Hörspielen erschienen zahlreiche Essays, 2003 die Wiener Vorlesungen zur Literatur. Auszeichnungen (u.a.): 1986 Theodor-Körner-Förderungspreis, 2005 Oberösterreichischer Landeskulturpreis, 2009 Österreichischer Würdigungspreis für Literatur. Bücher (Auswahl): Die Rosen des Heiligen Benedikt. Liebes- und Haßgeschichten (1989); Mein erster Neger. Afrikanische Erinnerungen (1990); Die Unterdrückung der Frauen, die Virilität der Männer, der Katholizismus und der Dreck. Roman in Geschichten (1995); Haus, Frauen, Sex. Roman (2001); Heißt lieben. Roman (2003); Bruno und ich. 52 Geschichten (2005); Buch der Enttäuschungen (2005); Haus, Friedens, Bruch. Roman (2007); Schreibt Thomas Bernhard Frauenliteratur? Über Literatur, das Leben und andere Täuschungen (2008); Die Tiere von Paris. Roman (2011); Das menschliche Gleichgewicht. Roman (2015).
Anke Bosse ist seit Herbst 2015 Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Klagenfurt und Leiterin des Robert-Musil-Instituts ebendort. Promotionsstudium in Göttingen und München, langjährige Lehrtätigkeit an der Universität Namur in Belgien. Herausgeberschaften, u.a. Mitarbeit an der Münchner Ausgabe Goethes sämtlicher Werke.
Klaus Kastberger, *1963 in Gmunden, Studium der Germanistik und Geschichte in Wien, von 1996–2015 Mitarbeiter des Österreichischen Literaturarchivs, dort u.a. Nachlassbetreuung Ödön von Horváths, seit März 2015 Professor für neuere deutschsprachige Literatur am Franz-Nabl-Institut der Universität Graz und Leiter des Literaturhauses Graz. Zahlreiche literaturwissenschaftliche Arbeiten vor allem zur Literatur des 20. Jahrhunderts und zu Methodenfragen (Textgenese). Literaturkritiken u.a. für Presse, Falter, wespennest, kolik und ORF. Selbstständige Veröffentlichungen und Herausgeberschaften (Auswahl): Reinschrift des Lebens. Friederike Mayröckers Reise durch die Nacht. Edition und Analyse (2000); Friederike Mayröcker. Gesammelte Prosa. 5 Bände (hg. mit Klaus Reichert und Marcel Beyer, 2001); Grundbücher der österreichischen Literatur seit 1945 (Erste Lieferung: hg. mit Kurt Neumann unter Mitarb. von Michael Hansel, 2007; Zweite Lieferung: hg. mit Kurt Neumann unter Mitarb. von Annalena Stabauer, 2013); Ödön von Horváth. Wiener Ausgabe sämtlicher Werke. Historisch-kritische Edition (Hg., 2009ff).
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