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STUNDE DER LITERARISCHEN ERLEUCHTUNG über WALTER SERNER
WALTER SERNER (1889 — ca.1942): DER ROTE STRICH. Kriminalgeschichten (Manesse Bibliothek der Weltliteratur, 2015) • XAVER BAYER (Nachwort; Wien) und ANDREAS PUFF-TROJAN (Herausgeber; München) lesen und kommentieren
Walter Serner gilt als Meister der verruchten Pose, des amoralischen Affronts. Das Generalthema seiner Kriminalgeschichten ist die Faszination des Bösen. In mondänem Argot feiert hier ein durch und durch moderner Autor das blühende Laster der Großstadt und deren zwielichtige Helden: leichte Mädchen und schwere Jungs, Tagediebe und Nachtschwärmer, Damen von Welt und solche mit Vergangenheit, Gentleman-Gauner, Schieber und Schlepper. Ein hochkarätiges Lesevergnügen nicht nur für Fans des Kultautors!
Liebe Leserin, lieber Leser! Die Kriminalgeschichten von Walter Serner sind Pflicht und Genuss zugleich. Aber weswegen?
Xaver Bayer: Weil sich die Lektüre von Serners Texten nicht abnützt, weil er als Autor – unabhängig von der kulturhistorischen Betrachtung – immer auf Höhe der jeweiligen Zeit zu sein scheint, weil er ein Individualist ist, der die Gesellschaft und ihre Einrichtungen als einladenden Spielplatz verstanden hat, weil er einer ist, der die Wehmut des Desperados insgeheim noch in sich trägt, aber auch das Verständnis, dass man weder dem Weltschmerz oder dem Größenwahn noch den Verlockungen des Erfolgs oder der öffentlichen Anerkennung auf den Leim gehen darf.
Andreas Puff-Trojan: Nun, weil für Serner und seine Figuren das Leben ein »Psycho-Dancing« ist, weil man durch lautes Rülpsen im Operettensaal eine Demi-Diva betören kann, weil in Serners Erzählungen der Detektiv bestenfalls das Opfer ist, weil der Autor den »Dreck« des Lebens aufwühlt (vgl. Schiller und »Morast«), weil Serner den Einsatz des Körpers in den Duellen des Lebens richtig einschätzt, weil Serners Ganoven und Ganovinnen, Schieber und Kokotten, Hochstapler und Hochstaplerinnen die Sprach-Fechtereien bestens beherrschen, weil sich ihre Gesichter in der Geschwindigkeit der Aktionen wie Spuren im Sand verlieren, weil Eros und Thanatos Verwandte sind, weil Serners Stil eines besagt: »Weltanschauungen sind Vokabelmischungen.«
Walter Serner, *1889 als Walter Eduard Seligmann im böhmischen Karlsbad, †ca. 1942. Studierte Jura in Wien, ging 1912 nach Berlin und wurde zum personifizierten Unruhegeist des Dada-Zeitalters. In den Zwanzigerjahren tat er sich als Essayist, Literat und Aktionskünstler hervor. Von den Nazis verfolgt, lebte er noch einige Monate im Prager Ghetto, ehe sich seine Spur in einem deutschen Vernichtungslager verliert.
Andreas Puff-Trojan, *1960 in Wien. Studium der Germanistik, Philosophie und Logik. Universitätslektorate in Budapest und Paris. Privatdozent für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität München, Kulturjournalist. Zahlreiche Veröffentlichungen in deutscher und französischer Sprache, u. a.: Textwechsel (1992); Wien/Berlin/Dada. Reisen mit Dr. Serner (1993); Der Pfiff aufs Ganze. Studien zu Walter Serner (hg. mit Wendelin Schmidt-Dengler, 1998); SchattenSchriften. Deutschsprachige und französische Avantgarde-Literatur nach 1945 (2008).
Xaver Bayer, *1977 in Wien. Studium der Philosophie und Germanistik. Lebt als freier Schriftsteller in Wien. Preise, Auszeichnungen: 2005 Österreichischer Förderungspreis für Literatur, 2008 Hermann-Lenz-Preis. Publikationen: Heute könnte ein glücklicher Tag sein. Roman (2001); Die Alaskastraße (2003); Als ich heute aufwachte, aufstand und mich wusch, da schien mir plötzlich, mir sei alles klar auf dieser Welt und ich wüsste, wie man leben soll. Theaterstück (2004); Weiter. Roman (2006); Das Buch vom Regen und Schnee. Prosa (mit Lithographien von Martha Jungwirth, 2007); Die durchsichtigen Hände. Kurzgeschichten (2008); Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen. Erzählung (2011); Geheimnisvolles Knistern aus dem Zauberreich (2014); Aus dem Nebenzimmer (2014).
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